Verdichten ist gut – mit Holz wird es besser
Die Schweiz muss künftig vor allem nach innen wachsen. Dies verlangen das Raumplanungsgesetz und die Bürgerinnen und Bürger gleichermassen. Damit verlagern sich die Bautätigkeiten zunehmend von der grünen Wiese in bereits genutzte Gebiete, und dies verändert auch die Anforderungen an die Projekte. Die baulichen Restriktionen durch die bestehende Substanz, die Belastungen für die Nachbarn, allfällige Mietzinsausfälle oder enge Platzverhältnisse auf der Baustelle müssen bei Verdichtungen zusätzlich in die Planungen und Wirtschaftlichkeitsrechnungen miteinfliessen. Für den Baustoff Holz werden diese Einschränkungen dank seiner spezifischen Qualitäten allerdings zum Vorteil.
Wie für das Verdichten gemacht
Das geringe Gewicht macht Holz beispielsweise ideal für Aufstockungen. Der hohe Vorfertigungsgrad reduziert die Bauzeiten genauso massiv wie die Belastung der Umgebung durch Lärm und
Staub. Der Platzbedarf auf den Baustellen sinkt durch eine sauber getaktete «Just-in-time»-Lieferung der vorproduzierten Module und Komponenten. Dazu kommt die konkurrenzlose Ökobilanz von Holzbauten. Als natürlicher CO2-Speicher verbessert der nachwachsende Baustoff die Klima-Bilanz von Gebäuden entscheidend.
Grosses Potenzial für Aufstockungen
Wie gross und wie vielfältig das Verdichtungspotenzial in den urbanen Siedlungsräumen der Schweiz ist, zeigen Analysen, die Implenia mit einer neu entwickelten Screening-Methode erstellt hat. Diese kombiniert die baurechtlichen Grundlagen mit georeferen-zierten Datensätzen. Allein die Zürichsee-Gemeinde Wädenswil verfügt demnach über ein Aufstockungspotenzial von 166 000 Quadratmetern oder über 1000 Familienwohnungen. Durch die zusätzlichen Stockwerke wird aber nicht nur Wohn- und Arbeitsraum geschaffen. Aufstockungen ermöglichen es den Hausbesitzern auch, durch eine bessere Ausnutzung ihrer Grundstücke zusätzlichen Mehrwert zu generieren.
Holz macht Aufstockungen wirtschaftlich
«Für Aufstockungen bei Bestandsgebäuden ist Holz in vielen Fällen die einzige wirtschaftlich und technisch sinnvolle Variante», erläutert Ulf Hoppenstedt. Der Gesamtprojektleiter bei Implenia verantwortet aktuell das Grossprojekt Lokstadt in Winterthur. Bei dieser Arealentwicklung westlich des Hauptbahnhofs entsteht ein neuer Stadtteil mit einer vielfältigen Mischung aus Neubauten und Modernisierungen in denkmalgeschützten Bestandshallen. «Durch das geringe Gewicht von Holz sind beispielsweise bei Aufstockungen von Bestandsgebäuden weniger Eingriffe zur statischen Ertüchtigung notwendig, was die Baukosten senkt. Zudem können Mietzinsausfälle reduziert werden, da die Bauarbeiten vermehrt in bewohnten Gebäuden ausgeführt werden.»
Das wachsende Bedürfnis nach Nachhaltigkeit
In der Lokstadt kommt aber auch ein anderer, zentraler Vorteil von Holz voll zur Geltung: seine natürliche Nachhaltigkeit. Weil Holz ein nachwachsender Rohstoff und CO2-Speicher der Natur ist, schneidet es in Sachen graue Energie besser ab als viele andere Baustoffe. «Nachhaltigkeit ist bei vielen Menschen ein wachsen-des Bedürfnis, und dieser Trend wird auch im Bereich des Wohnens immer wichtiger», wie Ulf Hoppenstedt ausführt. In der Lokstadt strebt Implenia deshalb nicht nur für einzelne Gebäude eine Nachhaltigkeits-Zertifizierung an. Vielmehr soll der neu entstehende Stadtteil als Ganzes zum ersten 2000-Watt-Areal Winterthurs werden. Hoppenstedt betont: «Ohne einen Teil der Gebäude im Holzbau zu realisieren, könnten wir das schlicht nicht erreichen.»
Und dies wird sich je länger je mehr auch wirtschaftlich auszahlen, denn das Engagement in Sachen Nachhaltigkeit und die Zertifizierung unterstützen die langfristige Attraktivität des Areals. Für Hoppenstedt persönlich gehört zu einer nachhaltigen Attraktivität nicht zuletzt auch das Wohnklima: «Holz strahlt weniger Kälte ab als beispielsweise Beton und sorgt damit für eine angenehme Atmosphäre in den Wohnungen.»
Standards für mehr und höhere Holzhäuser
Interview mit Frank Keikut
Herr Keikut, was ist für Sie der grösste Vorteil des Baustoffs Holz im städtischen Umfeld?
Holz ist schon allein in Sachen Ökobilanz und der sinnlichen Erfahrbarkeit ein herausragender Baustoff, aber in Kombination mit seiner Fähigkeit, schnell und störungsarm nachverdichten zu können, wird er nahezu konkurrenzlos.
Wo sehen Sie das grösste Potenzial, um die Holzbauweise weiter voranzubringen?
Der Holzbau gilt in Sachen BIM und 3D-Modelling als Vorreiter in der Branche. Um seine Marktposition weiter ausbauen zu können, muss er aber künftig die nächsten Schritte in Richtung Standardisierung gehen. Einheitliche Standards für Bauelemente in Holzbauweise würden nicht nur Planung und Kommunikation zwischen allen Beteiligten vereinfachen, sondern schlussendlich auch die Ausführung wesentlich effi zienter gestalten.
Sie arbeiten zurzeit an einem Projekt für Holzhochhäuser. Was ist genau ihr Fokus?
Wir erstellen ein ganzheitliches konstruktives Konzept, das den Anforderungen über den gesamten Lebenszyklus eines Hochhauses gerecht wird und zu einer nachhaltigen Verdichtung unserer Städte beiträgt. Dabei werden relevante Themenfelder von Architektur und Städtebau genauso diskutiert wie Fragen zu Brandschutz, Tragwerk und Baulogistik. Zentrale Fragestellungen im Forschungsteam lauten: Wie fl exibel müssen speziell Hochhäuser auf die sich stetig wandelnden Nutzungsanforderungen in unseren Städten reagieren und wie kann der Baustoff Holz dazu Antworten liefern?