Holz erobert die Stadt zurück
Heimelige Chalets in den Bergen oder Ställe für die Landwirtschaft: Holzbauten sind typisch für ländliche Gegenden. Städte werden demgegenüber aus Stein respektive Beton und Stahl gebaut, so die gängige Meinung. Dieses Bild entspricht aber nicht mehr der Realität. Seit einigen Jahren entstehen in den Schweizer Städten immer mehr Holzbauten. Dabei wird nicht nur Prestigearchitektur aus Holz gezimmert. Auch für ganze Wohn- und Gewerbeüberbauungen oder für Aufstockungen ist der natürliche Rohstoff heute erste Wahl.
Brandschutz ist eine Frage der Bauweise
Der Holzbau erobert sich damit ein Territorium zurück, aus dem er einst im Spätmittelalter verbannt worden war. Regelmässige Feuersbrünste hatten in jener Zeit viele städtische Verwaltungen dazu veranlasst, Holzgebäude zu verbieten. Hätten die Verantwortlichen schon damals unser heutiges Wissen in Sachen Brandschutz gehabt, wären diese Verbote allerdings überflüssig gewesen – und unsere Altstädte hätten ein anderes, viel holzigeres «Gesicht». Heute weiss man nämlich ganz genau, wie Holz verbaut werden muss, damit von ihm keine Feuergefahr ausgehen kann.
Städtische Baudichte mit maximaler Nachhaltigkeit
Die neuesten Brandschutzvorschriften aus dem Jahr 2015 erlauben denn auch den Bau von bis zu achtstöckigen Gebäuden ohne spezielle Auflagen. Die grossen Vorteile des Holzbaus können damit nun auch im dicht überbauten urbanen Raum voll ausgespielt werden. Dazu gehören insbesondere die für Bauherren und Mieter immer wichtiger werdenden Anforderungen an die Nachhaltigkeit. Wie die Basler Wohnüberbauung «schorenstadt» eindrücklich aufzeigt, erfüllt der Holzbau besser als jede andere Bauweise diese Vorgaben. Mit Holz lässt sich nämlich nicht nur der Energieverbrauch bei der Erstellung optimieren. Der nachwachsende Rohstoff sorgt vielmehr für die bestmögliche Ökobilanz über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg – von der Baustoffproduktion bis zum Rückbau.
Wie für das Bauen in der Stadt gemacht
Wer in der Stadt mit Holz baut, stört zudem während des Baus die Nachbarn wesentlich weniger, was sich positiv auf die Akzeptanz eines Bauvorhabens auswirkt. Der hohe Vorfertigungsgrad von Holzbauelementen senkt einerseits die Lärm- und Staubemissionen auf der Baustelle und ermöglicht andererseits eine hocheffiziente Erstellung. Im bisher grössten Schweizer Holzbauwohnprojekt «sue&til» in Winterthur Neuhegi plante, fertigte und verbaute Implenia beispielsweise über 250 000 Holzteile in einem durchgängig digitalen und koordinierten Prozess.
Ein weiterer Vorteil des Holzbaus kommt vor allem bei der Verdichtung von Bebauungsstrukturen durch Aufstockungen zur Geltung. Holzkonstruktionen sind im Vergleich zu Massivkonstruktionen zum Beispiel in Betonbauweise wesentlich leichter und erlauben dadurch aus statischer Sicht grössere Aufbauten auf bestehende Gebäude.
Vorprojekte für erste Holzhochhäuser
Die vielen Vorzüge machen klar, dass die Rückeroberung unserer Städte durch den Holzbau erst am Anfang steht. Dabei geht es allerdings nicht um ein Entweder-oder. Holz wird heute meist in Kombination mit anderen Materialien eingesetzt. Je nachdem, welcher Baustoff für welchen Konstruktionsbereich am meisten Sinn macht. Dem Naturstoff sind aber heutzutage bedeutend weniger Grenzen gesetzt als früher. In Wien wird beispielsweise derzeit ein 24-stöckiges Holzbau-Hochhaus entwickelt. Und auch dieses Projekt dürfte nur eine Etappe auf dem Weg in eine Zukunft sein, in der Holzhäuser wieder zum normalen Strassenbild unserer Städte gehören.
Interview mit Patrick Lier, Leiter Elementbau
Herr Lier, wieso ist Holz in der Stadt heute bezüglich des Brandschutzes unbedenklich?
Aus Sicht des Brandschutzes ist entscheidend, dass sich ein Feuer nicht unkontrolliert ausbreiten kann. Dafür müssen die definierten Brandabschnitte spezifische Anforderungen erfüllen. Im Bereich der Fassaden kann dies beispielsweise durch das Einsetzen von Brandschürzen erreicht werden, die einen Brandüberschlag verhindern sollen. Bei sichtbaren Holztragwerken lässt sich der Querschnitt so dimensionieren, dass nach der geforderten Zeit des Abbrandes der Restquerschnitt des Trägers die Statik weiter gewährleistet.
Wie konnten diese Erkenntnisse in den letzten Jahren gewonnen werden?
Es wurden – unter anderem auch an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA – unzählige 1:1-Versuche durchgeführt. So konnte genau gezeigt werden, was welche Massnahmen bewirken. Eine auf den ersten Blick vielleicht etwas überraschende Erkenntnis ist zum Beispiel, dass wir bei der neuen Holzwohnüberbauung «sue&til» in Winterthur Holz sogar als Brandschutz für Stahlträger einsetzen können. Die Holzverkleidung schützt den Stahl vor dem Feuer und der daraus resultierenden Hitze, welche den Stahlträger zum Einsturz bringen würde.
Welche weiteren wichtigen Änderungen haben die Brandschutzvorschriften 2015 mit sich gebracht?
Wir können seither ohne weiteres acht- statt wie bisher sechsstöckig in Holz bauen und mit speziellen Massnahmen sind neu auch Hochhausbauten möglich. Neu ist auch, dass Treppenhäuser in Holz gebaut werden dürfen. Durch eine vollständige Einkapselung der Holzbauelemente mit Gipsfaserplatten erfüllt die Konstruktion die hohe Brandschutzanforderung, welche an Fluchtwege gestellt wird. Damit spricht noch mehr für den Einsatz von Holz auf dem Bau.
Zurück zur Blog-Übersicht